Das neue Jahr hat für Andreas Beck offenbar gut begonnen: Der Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels wirkt beim Interview entspannt und gut gelaunt. Er und sein Team haben im Lauf der Zeit auch einige Pfeile im Köcher gesammelt. Die müssen jetzt nur noch abgeschossen werden.
von Lucia Hunziker
AZ: Herr Beck, wie war Ihr Rutsch ins Neue Jahr?
ANDREAS BECK: Still. Ich glaube, ich habe zum ersten Mal, seit ich am Theater bin, keine Silvester-Vorstellung gehabt. Und ohne Böllerei war es angenehm ruhig für den Hund.
Letzten Dienstag wurde bekannt gegeben, dass der Lockdown erstmal bis Ende Januar weitergeht. Wann, denken Sie, wird an Ihrem Haus wieder gespielt?
Na, Sie sind lustig: Ich bin ja nicht das Orakel von Delphi! Die Frage ist doch vielmehr, ob die Politik nicht langsam erkennen könnte, dass Theater, aber auch Kinos und Museen nicht Hotspots der Ansteckung waren. Ich glaube, im Theater hat sich bislang keiner angesteckt. Ob wir, ich sage mal, im Februar oder März, bei entsprechender Inzidenz spielen können – wer weiß? Wäre aber eine Planungsüberlegung wert.
Martin Kuej, jetzt Intendant am Burgtheater, hat sich gerade stark beschwert, weil der Lockdown in Österreich kurzerhand um eine Woche verlängert wurde. Nervt Sie diese Salami-Taktik auch?
Es ist leider festzuhalten, dass die ganze Situation auch durch eine gewisse Schizophrenie in den Entscheidungen geprägt ist. Dass gesagt wird, jetzt machen wir mal zu und bleiben zu Hause, dagegen will ja niemand was sagen. Und ich denke, man muss sich in Geduld üben, was wir heute offenbar alle nicht mehr so recht können. Andererseits ist es einfach nicht akzeptabel, dass die Politik dort, wo es scheint, als könne man durchregieren, zumacht, während sie das an anderer Stelle unterlässt, weil bestimmter Lobby-Druck herrscht. Museum zu, Skilift in Österreich offen: Diese Ungerechtigkeiten, die sich immer wieder zeigen, stoßen natürlich auf Widerstand.
Lesen Sie auch
Barbara Mundel im AZ-Interview: Der Speck ist schon weg
Lesen Sie auch
Retroparty im Gärtnerplatztheater: „Der Vetter aus Dingsda“ feiert als …
„Eine Arbeit wie „Marienplatz“ hat bei jeder Ausstrahlung bis zu 300 Zuschauer“
Im Gegensatz zum ersten Lockdown im Frühjahr letzten Jahres kann an Ihrem Haus jetzt im zweiten zumindest weiter an den geplanten Produktionen geprobt werden.
Ja, wir können jetzt zumindest zum größten Teil unserer Arbeit nachgehen: probieren, produzieren. Wir haben ja einen Auftrag, den wir erfüllen möchten. Ich selbst bin nicht unbedingt ein Freund des Streamings, aber ich denke, dass wir ein solches Angebot unserem Publikum schulden.
Das Vergnügen, sich online Theater anzuschauen, hält sich jedoch oft in Grenzen.
Vielleicht. Aber ehrlich gesagt kann ich die Klage, dass die Theater beim Streaming unter den Möglichkeiten ihrer Kunst bleiben, nicht mehr hören. Als ob uns das Fernsehen in den letzten Jahren mit ungeheuren Kunstgriffen verwöhnt hätte. Die Möglichkeiten eines direkten Spiels in diesen Medien sind begrenzt. Klar, das ZDF arbeitet dann mit acht Kameras und High Definition, aber die Form bleibt indirekt. Dass Streaming ein Ersatz ist, das ist doch klar. Aber wir versuchen uns eben jetzt, wo uns die Bühne verwehrt bleibt, online mit Inhalten auseinanderzusetzen, die uns dringlich erscheinen. Das Publikum nimmt das Angebot sehr wahr: Eine Arbeit wie „Marienplatz“ hat zum Beispiel bei jeder Ausstrahlung bis zu 300 Zuschauer, mehr als wir im Marstall pro Vorstellung Platz hätten.
Was ist im Streaming-Bereich in der nächsten Zeit geplant?
Wir zeigen jetzt eine Streaming-Version des deutsch-südkoreanischen Projekts „Borderline“, die es ohne Corona nie gegeben hätte, ab Ende Januar dann die deutsche Erstaufführung des Stücks „Niemand wartet auf dich“ der Dramatikerin Lot Vekemans, als Live-Cam-Performance mit Juliane Köhler. Außerdem beschäftigen wir uns mit der Weißen Rose und werden dazu kleinere Formate produzieren. Im Rahmen unserer Podcast-Reihe hat unser Ensemble das Gesamtwerk Georg Büchners vorgestellt. Heute ist viel von Freiheit und Ungerechtigkeit die Rede. Ist doch interessant zu vergleichen, wie man in der Zeit des Vormärz‘ oder im deutschen Widerstand diese Begriffe definierte.
Lesen Sie auch
Staatsballett mit erster Online-Premiere
Lesen Sie auch
Bukowskis „Marienplatz“: Uraufführung im Marstall-Stream
Laut Spielzeit-Planung sollten bis Ende Februar neun Produktionen fertig sein.
Genauso ist es auch, wir konnten ja weiter proben. Dazu kommt eine Koproduktion mit dem Theater Basel, „Graf Öderland“, die in Basel bereits Premiere hatte und die wir dann übernehmen. Oder „Engel in Amerika“, auch aus Basel, die wir schon längst zeigen wollten. Insgesamt haben wir einen Spielplan, der wie gespuckt auf diese Zeit passt. „Engel in Amerika“ beschäftigt sich zum Beispiel mit der Aids-Pandemie, „Graf Öderland“ mit Fragen von Freiheit und Widerstand. Und wir hatten Roland Schimmelpfennig beauftragt, ein Stück zum Lockdown zu schreiben
„Da wir ein Repertoire-Betrieb sind, können wir bis zu dreißig Produktionen lagern“
dessen Uraufführung bereits für November geplant war. Haben Sie intern Premieren abgehalten?
Ja. Wir haben für alle Inszenierungen jeweils ein gemeinsames Probenende vereinbart, damit die Produktionen für die Beteiligten nicht im Nirwana verpuffen. Wir haben die Abende also nach Ende der Probenzeit für einen kleinen Kreis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgeführt.
Die geplanten Probentermine müssen ja auch vertragsbedingt eingehalten werden.
Wir müssen die Terminplanung der Regisseurinnen und Regisseure natürlich beachten, weil sie in der Regel weitere Verpflichtungen haben; sonst würde ein Terminkampf mit anderen Theatern entstehen. Zudem hätten wir Bühnenbilder für die Deponie gebaut, würden wir eine begonnene Produktion nicht beenden. Und begonnen heißt, wenn die Dekorationen erstellt werden. Da wir ein Repertoire-Betrieb sind, können wir bis zu dreißig Produktionen lagern.
Nicht nur das Lager, auch das Frühjahrs-Programm ist jetzt wohl proppevoll.
Ja, es wird ein Festival für alle sein. Jetzt kündigen wir etwas an und wissen eigentlich schon, wie das Ergebnis aussieht! Das ist sonst nie der Fall.
Angesichts der Aktivitäten aller Theater steht uns wohl ein sehr großes Festival bevor.
Aber das ist doch super! Es ist doch toll, wenn die Leute nach dem Lockdown nicht nur die Traute haben, in die Häuser zu strömen, sondern die Häuser ein reichhaltiges Programm anbieten können. Wir haben doch jetzt alle lange nicht mehr ins Theater gehen können, und das Bedürfnis ist bei uns wie unserem Publikum spürbar stark, sich gemeinsam wieder etwas ansehen, sich inspirieren lassen und darüber diskutieren zu können. Und wir werden ja auch nicht alle zehn Premieren innerhalb von Tagen abrufen können. Das braucht schon seine Zeit nach fast einem Jahr Lockdown.
„Nur fünfzig Zuschauer zu genehmigen, ist Symbolpolitik, die keinem weiterhilft“
Gehen Sie auf die Barrikaden, wenn es wieder heißt, es können nur fünfzig Leute ins Theater?
Fünfzig Leute geht gar nicht. Nur fünfzig Zuschauer zu genehmigen, ist Symbolpolitik, die keinem weiterhilft. Dann können wir im Marstall spielen, aber alles andere ist grotesk. Fünfzig Leute im Zuschauerraum des Residenztheaters werden ja von mehr als fünfzig Leuten auf und hinter der Bühne bedient. Aber das haben wir schon deutlich gemacht. Theater funktioniert ja nicht so, dass ich mich hinsetze und was alleine gucke, sondern ich will etwas in einer bestimmten Atmosphäre erleben. Das ist mit fünfzig Leuten in einem 900-Plätze-Haus nicht möglich. Dann schon lieber Streaming. Da bin ich dann zuhause alleine.
Müssten die Theater sich im Widerstand gegen solche Beschränkungen nicht mehr solidarisieren?
Das haben wir schon gemacht. Und ich glaube auch, dass wir von den politisch Verantwortlichen wahrgenommen werden. Ich bin in Kontakt mit unserem Minister Bernd Sibler und mit Staatsministerin Grütters. Wir haben der Bundeskanzlerin einen Brief geschrieben, keiner ist uns eine Antwort schuldig geblieben. Die Politik wollte uns den Ernst der Lage deutlich machen, und wir haben das begriffen. Aber wenn man den Menschen nur noch auf „shopping and cooking“ reduziert, verliert sich auf Dauer die Zugkraft politischer Empfehlung. Irgendwann will das keiner mehr mitmachen.
Supermärkte zu schließen, wirkt nun mal lebensgefährlicher, als wenn die kulturelle Nahrung ausbleibt.
Ja, aber wie heißt es so schön? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Nahrung ist ein elementares Lebensmittel. Die Kunst, die Kultur aber macht den Menschen aus. Mein Hund braucht das Theater nicht. Und sicher, ein geschlossenes Theater ist nicht ganz so dramatisch wie Probleme im Impfzentrum. Aber halten wir fest: Wir stehen bereit, unseren Auftrag innerhalb der Gesellschaft zu erfüllen. Denn ohne Kultur – das wissen wir jetzt noch besser – wird’s still. Der Mensch lebt nicht allein.
Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel